A. H. S. / Foto: Florian Wieser. |
Anstatt sich vorrangig auf übliche Songstrukturen zu fokussieren, beabsichtigt ALIEN HAND SYNDROME in erster Linie, die Intensität der von ihm vermittelten Gefühlswelten direkt auf sein Publikum zu übertragen. Sein 2011 erschienenes und aktuell wiederveröffentlichtes Debütalbum THE SINCERE AND THE CRYPTIC ist ebenso wie dessen Nachfolger SLUMBER der eindrucksvolle Beweis dafür, dass es ihm gelingt, dieses Vorhaben auch erfolgreich in die Tat umzusetzen.
Durch das unkonventionelle Konzept neugierig geworden, führte ich mit ihm ein Interview, das sich neben klanglichen Gefühlswelten auch um peinliche Songtexte und überwältigende Emotionen drehte...
Du machst seit 2007 ernsthaft Musik. Was hat sich seitdem in deinem Leben verändert?
Ich habe ernsthaft mit dem Musik machen begonnen, nachdem ich Sommer 2007 einen stationären Alkoholentzug absolviert hatte. Davor hatte ich auch an Musik gebastelt, konnte aber aufgrund meiner Sucht nie etwas fertig stellen oder konsequent an etwas arbeiten. Als ich mit dem Trinken aufgehört hatte, ist nach und nach meine ganze Kreativität zurückgekommen und ich konnte endlich auch Dinge abschließen. Das war eine große Befreiung.
Seitdem läuft das mit der Musik ganz gut. Ich würde aber lügen, wenn ich behaupten würde, dass mir die exzessive Zeit von damals nicht ab und zu fehlen würde. Aber meine Kreativität ist vielleicht das Wichtigste, was ich in meinem Leben habe und deswegen bin ich bis jetzt auch nicht rückfällig geworden.
Gab es neben der vielen positiven auch negative Resonanz auf deine Musik?
Eigentlich sehr selten. Es gibt einen italienischen Kritiker, der keine meiner beiden Alben mochte, aber sonst war das Feedback bis jetzt eigentlich Gott sei Dank immer recht positiv. Aber es gibt zum Beispiel Fälle, wo man auf eine Resonanz warten würde und es kommt aber keine – das nimmt man dann in seinem Kopf automatisch auch irgendwie als negatives Feedback wahr, obwohl das vielleicht gar nicht so gemeint war.
Fällt es dir schwer mit negativer Kritik umzugehen?
Ich bin da leider sehr sensibel, weil ich schon von Grund aus ständig von Selbstzweifeln geplagt werde. Ich habe das Gefühl, dass nichts, was ich bisher gemacht habe, wirklich gut genug ist und dieser Gedanke macht mir oft sehr zu schaffen. Andererseits ist das natürlich auch eine Triebfeder, weil man ständig versucht, an sich selbst zu arbeiten und immer besser zu werden. Aber manchmal wünschte ich, ich würde die Dinge etwas lockerer sehen können.
Obwohl deine Muttersprache Deutsch ist, sind deine Songtexte ausschließlich auf Englisch verfasst. Denkst du, es ist für den Erfolg eines Künstlers wichtig, in welcher Sprache er seine Songs schreibt?
Für den Erfolg sicher. Wenn man sich zum Beispiel dazu entschließt, auf Deutsch zu singen, hat das zwar den Vorteil, dass man regional vielleicht schneller Gehör findet, aber im Normalfall geht dann halt außerhalb von Deutschland, Österreich und der Schweiz kaum mehr was. Die einzige Ausnahme ist wohl Rammstein, die dieses übertriebene, karikierende Deutsch quasi zu ihrem Markenzeichen gemacht haben und das hat ihnen vor allem in den USA einen "Exotenbonus" eingebracht.
Ich selbst habe ganz am Anfang – als ich 14 war – auch Songs auf Deutsch geschrieben, aber mir ist es dermaßen schwer gefallen, nicht-peinliche deutsche Texte zu schreiben, dass ich es dann gelassen habe. Oft ist einem eben die Muttersprache zu nahe und man tut sich schwer, ganz persönliche Sachen in der eigenen Sprache zu singen.
In der englischen Sprache geht das wiederum einfacher, weil es da einen gewissen Abstand gibt. Es gibt da dieses Tocotronic-Lied mit der Textzeile "Über Sex kann man nur auf Englisch singen, allzu leicht kann's im Deutschen peinlich klingen". Das trifft es ziemlich genau. Ich bewundere jeden Künstler/jede Künstlerin, der/die es schafft, wirklich gute, deutsche Texte zu schreiben. Das ist echt verdammt schwer. Ich denke, Judith Holofernes von Wir sind Helden ist da zum Beispiel eine Großmeisterin. Rio Reiser konnte das auch.
Auf deiner Homepage schreibst du bezüglich deiner Zuhörer/innen: "Ich will, dass er/sie meinen Schmerz selbst fühlt, wenn er/sie meine Songs hört - meine Verletzlichkeit, meine Wut, meine Angst, meine Entfremdung, meine Hoffnung". Ist diese Absicht nicht ziemlich egoistisch und manipulativ von dir?
Ja, das ist natürlich sehr überspitzt formuliert. Was ich damit meine ist: Ich mache meine Musik nicht, um die Zuhörer zu unterhalten – ich mache meine Musik, um bei den Zuhörern Emotionen hervorzurufen. Ich hatte da schon öfters Diskussionen mit anderen Musikern zu dem Thema, weil die es einfach nicht verstehen konnten, dass es nicht mein vorrangiges Ziel ist, dass die Leute bei meinen Konzerten "einfach eine gute Zeit haben".
Ich will nicht, dass Menschen zu meinen Gigs kommen, um "einfach eine gute Zeit zu haben" und abtanzen zu können – ich will, dass sie im Idealfall von der Emotion des Augenblicks überwältigt werden und, dass sie fühlen, was ich gerade fühle, wenn ich einen bestimmten Song performe. Das meine ich damit.
Könntest du dir vorstellen, in deinen Liedern auch andere Themen als deine Gefühlswelten zu behandeln?
Ja, dieser Punkt wird wohl zwangsläufig irgendwann einmal kommen, weil man sich ja auch sehr bald wiederholt, wenn man nur über sich selbst schreibt. Es gibt bis jetzt einen Song, der wirklich gar nichts mit mir direkt zu tun hat, sondern auf einer wahren, historischen Begebenheit beruht. Dieser Song ist von meinem Debüt-Album The Sincere And The Cryptic und heißt Chainsaw Mascara.
In dem Lied geht es um einen Arzt namens Carl von Cosel, der sich unsterblich in eine Patientin verliebte, nach deren Tod ihre Leiche entwendete, den Körper konservierte und dann zuhause eine Art Mausoleum für sie einrichtete. Man kann die genaue Geschichte auch auf Wikipedia nachlesen, wenn man will.
Wächst der emotionale Abstand zu deinen eigenen Songs mit der Zeit?
Es ist schwierig, weil man sich an den eigenen Songs wirklich sehr schnell satt hört. Da braucht man dann schon Jahre Abstand, um wirklich wieder etwas "fühlen" zu können. Es geht mir eigentlich immer so, dass alles, was länger zurückliegt, besser gefällt als das, was ich gerade aufgenommen habe. Das war schon immer so: Bei der ersten EP habe ich mir gedacht, die früheren Demos wären viel besser gewesen, nach der zweiten EP fand ich die erste besser, nach dem ersten Album die zweite EP usw.
Wenn ich mir jetzt zum Beispiel Slumber anhöre, habe ich schon irgendwie das Gefühl, dass es ein gutes Album geworden ist, aber ich denke nach wie vor nur in Fehlern: "Bei dieser Passage wäre beim Gesang viel mehr drinnen gewesen", "Da passt die Aussprache nicht", "Die Drums in dem Teil haben zu wenige Tiefen", "Diese Textzeile ist ziemlich doof" – es ist ein ewiges Gedankenkreisen.
Wenn man soviel Energie und Leidenschaft in ein Projekt steckt wie du, hat man die musikalische Karriere betreffend doch sicher auch den einen oder anderen Traum. An welchem Ort oder in welcher Location würdest du gerne mal auftreten, wenn du es dir unabhängig finanzieller oder sonstiger Aspekte frei aussuchen könntest?
Früher gab es in New York diese legendäre Location CBGB, wo quasi alle der alten Punk-Bands aufgetreten sind. Da hätte ich echt gerne mal gespielt, aber der Club hat leider 2006 geschlossen. Ansonsten war ich halt früher sehr gerne in Österreich und Deutschland auf Festivals unterwegs und hab mir damals immer vorgestellt, wie es wäre, einmal selbst dort zu performen. Also alleine aus Nostalgiegründen wäre zum Beispiel ein Auftritt beim Southside-Festival in Baden-Württemberg toll.
Und angenommen dir würde von einem Major-Label ein Plattenvertrag angeboten werden. Würdest du unterzeichnen?
Hmmm, das kommt ganz drauf an. Uneingeschränkte künstlerische Freiheit wäre halt die Grundvoraussetzung und dieses Privileg haben bei Major-Labels halt wahrscheinlich echt nur die Allergrößten. Ich träume aber von einer Zukunft, wo ich mich nicht mehr um ALLES selbst kümmern muss, sondern mich hauptsächlich auf das Musikmachen konzentrieren kann.
Abgesehen vom Bonus-Track Broomstick Jesus (2013) ist der sehr experimentell klingende Song Nihilistic Itching zugleich der Letzte auf deinem aktuellen Album Slumber. Eine musikalische Anspielung auf dein nächstes Album?
Ja, da hast du ziemlich genau ins Schwarze getroffen. Slumber ist ja eine sehr, sehr ruhige, analoge Platte und ich will in Zukunft definitiv auch wieder noisigere, experimentellere Sachen machen. Da kann man Nihilistic Itching durchaus als so etwas wie einen Vorboten verstehen.
Was sind deine konkreten Zukunftspläne für Alien Hand Syndrome und welche Ziele strebst du langfristig mit deinem Projekt an?
Ich arbeite eigentlich gerade an mehreren Projekten gleichzeitig. Zum einen soll dieses Jahr noch eine Serie von Cover-Versionen entstehen, die ich ab Sommer in gewissen Abständen auf meine Soundcloud- und YouTube-Seite stellen will. Außerdem plane ich, eine digitale EP aufzunehmen, die etwa Anfang 2015 erscheinen soll.
Die EP wird zwei Neu-Aufnahmen von älteren Songs (Leave Now And Never Come Back und The Evil And The Lovelorn) und vier ganz neue Songs enthalten. Außerdem werden wohl heuer noch zumindest zwei Videoclips folgen. Und ich beginne auch schon an den ersten Ideen für das nächste, "echte" Alien Hand Syndrome-Album zu arbeiten. Mir wird also heuer sicher nicht langweilig.
Langfristig ist einfach das Ziel, auf allen Ebenen immer besser und professioneller zu werden, bis ich vielleicht irgendwann an einem Punkt anlange, wo ich so etwas wie Zufriedenheit verspüre. Ich weiß nicht, ob dieser Punkt jemals kommen wird, aber wenn es einmal soweit sein sollte, werde ich wahrscheinlich danach etwas komplett Anderes machen. Ich glaube, ich werde dann ein Buch schreiben oder so.
Vielen Dank für dieses Interview!
Homepage von Alien Hand Syndrome: www.alien-hand-syndrome.com. ______________________________________________________________________________________